Artikelreihe zur Studie “Marktpotenzial AVGS”
Einblicke in Chancen und Strukturen.

Warum immer weniger Menschen Vermittlungsgutscheine nutzen – und was das über unseren Arbeitsmarkt verrät

Viele Menschen wollen arbeiten. Sie suchen nicht nur ein Einkommen, sondern Sinn, Stabilität und Selbstbestimmung. Trotzdem bleiben hunderttausende Stellen unbesetzt – und ebenso viele Menschen ohne Job. Zwischen diesen beiden Realitäten liegt ein Stück Papier, das kaum jemand kennt, obwohl es Türen öffnen könnte: der Aktivierungs- und Vermittlungsgutschein (AVGS).

Er soll Arbeitssuchenden den Zugang zu individueller Unterstützung ermöglichen – durch private Arbeitsvermittler:innen, die persönlich beraten, Netzwerke nutzen und Türen öffnen. Doch genau dieses Instrument verliert seit Jahren an Bedeutung.
Eine aktuelle Studie von AVP Berlin, durchgeführt gemeinsam mit dem BIFI – Berliner Institute for Innovation, zeigt erstmals detailliert, warum das so ist – und wie das Potenzial wiederbelebt werden kann.

Ein Förderinstrument verliert an Reichweite

Die Zahlen sprechen für sich:
Zwischen 2020 und 2024 sank die Zahl der zugelassenen Vermittlungsträger im AVGS-Bereich von über 1.100 auf nur noch rund 750. Parallel dazu fiel die Zahl der ausgegebenen Gutscheine von 46.000 auf 13.000, und weniger als 2.000 wurden tatsächlich eingelöst.

Was als flexibles Instrument für schnelle Integration gedacht war, ist zum Nischenangebot geworden.
Der Grund liegt nicht in der Idee selbst, sondern in ihrer Umsetzung und Wahrnehmung: Bürokratische Prozesse, geringe Sichtbarkeit und fehlende Aufklärung haben dafür gesorgt, dass viele Arbeitssuchende schlicht nicht wissen, dass sie Anspruch auf kostenfreie Vermittlungsunterstützung haben.

Motivation ist da – nur der Zugang fehlt

Die Befragung von über hundert Arbeitssuchenden brachte ein klares Bild:
Die Mehrheit ist hoch motiviert. Arbeit wird als sinnstiftend, entwicklungsfördernd und identitätsstiftend gesehen. Die Resignation, die viele Behördenberichte vermuten lassen, trifft nur auf eine kleine Minderheit zu.

Und trotzdem nehmen viele keine Hilfe in Anspruch.
Die Studie zeigt: Nicht der Wille fehlt – sondern Vertrauen und Orientierung.
Viele wissen nicht, wie sie an den Gutschein kommen, oder empfinden die Abläufe als undurchsichtig. Andere glauben, private Vermittlung sei nur ein weiterer Verwaltungsschritt.
Wo der Mehrwert nicht greifbar ist, bleibt der Impuls aus.

Drei Typen von Arbeitssuchenden

Die Studie unterscheidet drei Gruppen:

    • Enthusiasten – aktiv, zielorientiert, offen für Unterstützung, wenn sie Ergebnisse sehen.
    • Moderate – grundsätzlich bereit, aber zurückhaltend; sie brauchen Klarheit und Sicherheit.
    • Skeptiker – misstrauisch gegenüber Behörden und Programmen, fühlen sich oft überfordert.

Das größte Potenzial liegt bei den „Moderaten“: Sie sind weder ablehnend noch resigniert – aber sie brauchen verständliche Information, sichtbare Erfolge und persönliche Begleitung, keine Formulare.

Was Menschen überzeugt

Die Befragten bewerteten verschiedene Aspekte der privaten Arbeitsvermittlung. Besonders wichtig sind:

    1. Ein persönliches Erstgespräch, das Vertrauen schafft.
    1. Schnelle, unbürokratische Abläufe, um den Prozess als Fortschritt zu erleben.
    1. Der Zugang zum verdeckten Arbeitsmarkt – also zu Stellen, die öffentlich gar nicht ausgeschrieben sind.
    1. Direkte Ansprache durch Unternehmen statt Massenbewerbungen.

Digitale Tools wie Lebenslaufprofile oder Antragshilfen sind „nice to have“, aber kein Grund, sich überhaupt zu melden.
Entscheidend sind Begegnung, Tempo und greifbarer Nutzen.

Der AVGS als Hebel

Ein zentrales Ergebnis:
Wenn die Unterstützung über den AVGS finanziert wird, steigt die Nutzungsbereitschaft deutlich – im Durchschnitt um mehr als 50 %.
Die Kostenfreiheit senkt Hemmschwellen, schafft Vertrauen und nimmt das Gefühl, „eine Behörde müsse erst zustimmen“.
Aber: Nur wenige wissen überhaupt, dass sie den Gutschein beantragen können. Der AVGS ist also kein unattraktives Instrument – sondern ein unbekanntes.

Ein System zwischen Förderung und Frust

Die Untersuchung zeigt auch strukturelle Probleme:

    • Die Zahl offener Stellen bleibt hoch (über eine Million), während zugleich mehr als 2,8 Millionen Menschen arbeitslos sind.
    • 36 % der Betriebe klagen über Besetzungsschwierigkeiten.
    • Hauptgründe: zu wenige Bewerber:innenfehlende Qualifikationgeringe Kompromissbereitschaft auf beiden Seiten.

Diese Mischung aus Fachkräftemangel, bürokratischer Trägheit und Kommunikationsdefizit führt dazu, dass Potenziale ungenutzt bleiben – auf beiden Seiten des Arbeitsmarkts.

Forschungsbasis und Methodik

Die Studie wurde im Zeitraum Juni bis August 2025 durchgeführt.
Sie kombiniert quantitative Marktanalysen (Desk Research) mit einer Online-Umfrage unter 117 arbeitssuchenden Personen.
Ziel war es, das Marktpotenzial der AVGS-finanzierten privaten Arbeitsvermittlung zu bewerten – im Zusammenspiel von Angebot, Nachfrage und Motivation.

Wesentliche Quellen:

    • Eigene Erhebung und statistische Auswertung

Ergebnis:

Das theoretische Marktpotenzial liegt – je nach Szenario – zwischen 350.000 und 820.000 vermittelbaren Personen jährlich.
Begrenzt wird der Markt nicht durch fehlende Bewerber:innen, sondern durch die Zahl der real verfügbaren offenen Stellen.

Implikationen für die Praxis

    1. Private Vermittlung bleibt relevant.
      Der Bedarf an individueller Unterstützung steigt, weil Standardprozesse der Ämter die Vielfalt der Lebenssituationen nicht abbilden.
    1. Kommunikation ist der Schlüssel.
      Menschen müssen verstehen, was sie konkret davon haben. Der AVGS braucht keine Reform – er braucht Verständlichkeit.
    1. Ergebnisse zählen.
      Schnelle, nachvollziehbare Vermittlungserfolge stärken Vertrauen und Motivation.
    1. Digitalisierung ist Mittel, nicht Selbstzweck.
      Tools sind hilfreich, aber Beziehung bleibt zentral.

Fazit

Der AVGS ist kein Auslaufmodell – er wird nur zu selten richtig genutzt.
Arbeitssuchende sind motiviert, aber das System spricht oft die falsche Sprache.
Wer in Zukunft erfolgreich vermitteln will, braucht weniger Formulare, mehr Dialog – und den Mut, bürokratische Hürden durch klare Kommunikation zu ersetzen.

Private Arbeitsvermittlung kann genau dort ansetzen: nah an den Menschen, klar im Nutzen, messbar im Ergebnis.

Hinweis für Fachkreise:
Die vollständige Studie mit allen Datengrundlagen und Tabellen steht auf Anfrage zur Verfügung.